Wohnungsnot internationaler Studierender: Was hilft?
Autorin: Gunda Achterhold (März 2022)
Gerade zu Semesterbeginn ist Wohnraum immer knapp, man kennt die Bilder von Studierenden, die anfangs in Hostels oder Turnhallen übernachten. Der Mangel an günstigen WG-Zimmern und Wohnheimplätzen wird jedoch immer größer und lässt den Studienstart in vielen Universitätsstädten zu einer Zitterpartie werden – nicht nur in Deutschland.
In den Niederlanden wächst sich die Wohnungsnot zu einer handfesten Krise aus, in vielen Hochschulstädten gehen Studierende auf die Barrikaden. Unter dem Motto NoRoomForUs protestierten in Amsterdam Studierende im September 2021 auf dem Campus der Vrije Universiteit, um auf die akute Notlage aufmerksam zu machen. Initiativen wie Shelter Our Students setzten mit einer Übernachtungsvermittlung und dringenden Appellen auf Unterstützung der einheimischen Bevölkerung.
Die aktuell besonders dramatische Situation auf dem Wohnungsmarkt ist auch eine Folge der Pandemie: Seit dem Corona-Ausbruch 2020 verbrachten bereits zwei Jahrgänge ihre ersten Semester vor dem Bildschirm, viele von ihnen blieben gleich zuhause bei den Eltern. Auch internationale Studierende schalteten sich aus ihren Heimatländern zum Online-Studium zu. Mit dem Ergebnis, dass im Herbst 2021 gleich mehrere Semester zur selben Zeit auf den Markt strömten. “Das hat sich multipliziert, die Hochschulen sind überlaufen worden”, sagt Philip Dunkhase, Referent für Universitätskommunikation und Alumni-Management an der Leuphana Universität Lüneburg.
Gästezimmer wurden zum Homeoffice
Die Nähe zur Metropolregion Hamburg macht sich auf dem Lüneburger Wohnungsmarkt deutlich bemerkbar – ein Effekt, den Studierende häufig unterschätzen. Der Accommodation Service im International Office ist darauf eingestellt und bietet internationalen Studierenden Unterstützung bei der Wohnungssuche an. Über Jahre baute das Team Kontakte zu privaten Vermieterinnen und Vermieter auf. “Gerade viele der möblierten Zimmer, die für Austauschstudierende besonders interessant sind, wurden im Zuge der Pandemie zu Homeoffices ausgebaut und standen nicht mehr zur Verfügung”, so Dunkhase. Die Folgen zeigten sich unmittelbar: Mehr als 80 Internationals hatten zu Semesterbeginn im Oktober 2021 noch kein Dach über dem Kopf.
Ähnlich sah es in vielen anderen deutschen Städten aus. Das Studierendenwerk in Münster mietete zusätzliche Gebäude an und richtete Notunterkünfte ein, die angesichts der anhaltenden Wohnraumkrise bis zum Ende des Wintersemesters geöffnet bleiben. “Für internationale Studierende ist die Situation besonders schlimm”, sagt Katrin Peter. Sie leitet die Öffentlichkeitsarbeit im Studierendenwerk Münster. “Sie kommen alleine hierher, kennen die Stadt nicht und brauchen sofort etwas, auf der Stelle.” Im Handumdrehen funktionierte das Team des studentischen Wohnens eine Wohnung über der hauseigenen Beratungsstelle zur WG für internationale Studierende um, bis zum Sommersemester können sie dort erst einmal bleiben. “Bis dahin hat sich die Lage vielleicht wieder etwas entspannt”, so Peter.
Auf die stetig steigenden Studierendenzahlen reagierte die Stadt Münster schon vor Jahren. Seit 2012 arbeiten viele verschiedene Akteure im Arbeitskreis “Studentische Wohnraumversorgung” Hand in Hand – die Stadt und die beiden Hochschulen ebenso wie Studierendenvertretungen und kirchliche Träger. Die von Design-Studierenden entwickelte Kampagne Studierzimmer Münster bündelt alle wichtigen Informationen, von der “Couch für Erstis” bis zu Wohnungsalternativen im Umland, auf einer gemeinsamen Website. Das erhöht die Sichtbarkeit und erleichtert Neuankömmlingen die Suche.
Wohnpartnerschaften zwischen Generationen
Wie schwierig es ist, bereits vor der Ankunft eine Bleibe im Zielland zu finden, erlebte die türkische Psychologie-Studentin Öznur. “Die Suche nach einem WG-Zimmer lässt sich vom Ausland aus kaum organisieren, ich bekam fast nur Absagen”, sagt die 24-Jährige, die zum Masterstudium an die Universität zu Köln (UzK) kam. Sogar mit betrügerischen Angeboten hatte sie zu tun. “Ich kannte hier niemanden, war zu der Zeit auch noch nicht in der Chat-Gruppe des Studiengangs, und habe wirklich Panik gekriegt.” Auf der Hochschulwebsite fand sie einen Hinweis auf das Projekt Wohnen für Hilfe und war sofort sicher: “Das ist genau das Richtige für mich!”
Seit dem Wintersemester lebt Öznur bei einer Kölner Seniorin, per Videoanruf hatten sich die beiden bereits vor der Einreise kennengelernt und auf Anhieb gut verstanden. Die Studentin wohnt günstig, im Gegenzug unterstützt sie ihre Vermieterin im Haushalt. Im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnen für Hilfe setzen dieses Modell in Deutschland aktuell 34 kommunale Einrichtungen, Wohlfahrtsverbände oder Hochschulen um. Die Universität zu Köln arbeitet in dem Projekt mit dem Amt für Wohnungswesen und der Seniorenvertretung der Stadt Köln zusammen. Weltweit regt das Netzwerk Homeshare International auch in Australien, Europa oder in den Vereinigten Staaten Wohnpartnerschaften zwischen den Generationen an.
Deutschkenntnisse erleichtern die Suche
Öznur ist glücklich mit ihrem Leben in Köln und findet bei ihrer “Landlady” viel Unterstützung, das Verhältnis ist freundschaftlich und familiär. “Mit ihr fühle ich mich in diesem fremden Land sicher, ich kann sie alles fragen”, sagt Öznur. “Selbst wenn ich im Lotto viel Geld gewinnen würde, bliebe ich bei ihr.” Ihre Vermieterin ermuntere sie auch dazu, Deutsch zu sprechen und die Sprache zu lernen. Das findet die junge Türkin gut.
“Ein Glücksfall”, sagen Heike Bermond und Sandra Wiegeler. Die Heilpädagoginnen koordinieren das Projekt “Wohnen für Hilfe” an der Universität zu Köln. Und in gewisser Weise auch eine Ausnahme, denn Öznur und ihre Vermieterin sprechen im Alltag Englisch miteinander. Die Vermittlung internationaler Studierender scheitere häufig an der Sprache, so die Projektleiterinnen. “Die meisten Anbieterinnen und Anbieter, die ein Zimmer für Studierende frei haben, zählen zur älteren Generation und möchten sich auf Deutsch verständigen können.” Der Trend hin zu englischsprachigen Studiengängen, auch grundständigen, macht ihre Arbeit nicht leichter: Es kommen immer mehr Studierende ohne Deutschkenntnisse ins Land, was die Wohnungssuche grundsätzlich erschwert.
Kurzfristig auf Notfälle reagieren
Jeder Partnerschaft geht ein intensiver Prozess des Kennenlernens voran, insofern ist das Konzept “Wohnen für Hilfe” nur als mittel- bis langfristige Lösung geeignet. In akuten Notlagen, wenn sich viele junge Menschen gleichzeitig wohnungslos und verzweifelt an die International Offices wenden, müssen andere Maßnahmen greifen. In Städten wie Köln, wo zehn Prozent der eine Million Einwohner Studierende sind, arbeiten Hochschulen jedoch am Limit. “Wir schaffen es nur mit ganz viel Herzblut im Team, die vielen neuen Studierenden aus dem Ausland irgendwie unterzubringen”, sagt Dr. Susanne Preuschoff, Leiterin des International Office der UzK. “Bei der Tante auf dem Sofa, über die Familie, Freunde oder persönliche Netzwerke.” Besonders große Sorgen bereitet ihr die immer stärker vertretene Gruppe Minderjähriger aus Drittstaaten. Sie gelten als besonders betreuungsbedürftig, doch auch in Köln ist der Pool an privaten Vermieterinnen und Vermietern im Zuge der Pandemie zusammengeschrumpft. “Es ist ein politisches Problem”, so Preuschoff. “Mit 4.800 Wohnheimplätzen kommen wir in Köln nicht weit.”
In der Not nutzte das International Office Hotels in Köln, die wegen Corona leer standen, zur Unterbringung wohnungsloser Studierender aus dem Ausland. Das verschaffte erst einmal Luft, führte wegen fehlender Meldebescheinigungen jedoch zu Problemen bei der Einschreibung und der Eröffnung eines Kontos. “Da beißt sich die Katze dann in den Schwanz”, so Preuschoff. Aktuell plant ihr Team den Radius ins Umland auszuweiten und sucht entlang der Bahnstrecke nach größeren Häusern zu einer eventuellen Langzeitanmietung, in denen WGs eingerichtet werden könnten. “Fürsorge muss uns ein Anliegen sein, denn unsere internationalen Studierenden sind als Botschafter in der Welt eine wertvolle Ressource und werden für den deutschen Arbeitsmarkt langfristig unverzichtbar sein”, betont die Leiterin des International Office.
In der Kommunikation auf ehrliche Botschaften setzen
Für das internationale Hochschulmarketing ist diese Situation eine Herausforderung. “Wir müssen darüber nachdenken, mit welchen Botschaften wir uns an internationale Zielgruppen wenden”, sagt Philip Dunkhase von der Leuphana Universität Lüneburg. “Angespannte Situationen auf dem Wohnungsmarkt sollten Hochschulen authentisch kommunizieren.” Auf ihrer Website bietet die Leuphana nicht nur Unterstützung bei der Wohnungssuche an, sie weist auch ausdrücklich darauf hin, dass die Zusage für einen Studienplatz keine Unterkunft beinhaltet. “Viele internationale Studierende kommen von Campus-Universitäten”, sagt Tanja Schaefer, die für den Accommodation Service der Leuphana zuständig ist. “Für sie ist es schwer zu verstehen, dass die Wohnheime in Deutschland losgelöst von den Hochschulen verwaltet werden.”
Informationen und Wohnheimfinder des DAAD
Grundsätzliche Informationen zur Unterkunftssuche in Deutschland erhalten internationale Studierende auf den Websites des DAAD sowie der Kampagne Study in Germany. Der Wohnheimfinder listet zudem Adressen und Bewerbungshinweise von Wohnheimen in zahlreichen deutschen Hochschulstädten.
Als sich die Situation im Herbst 2021 zuspitzte und mehr als 80 Internationals ohne Wohnung in Lüneburg ankamen, verbrachte Tanja Schaefer viele Stunden am Telefon. Auf der Suche nach freien Zimmern und in Zusammenarbeit mit regionalen Medien startete die Hochschule einen dringenden Aufruf an die Bevölkerung, unter anderem mit einem ganzseitigen Beitrag in der lokalen Tageszeitung. Dabei arbeitete sie eng mit dem AStA zusammen, der eine Bettenbörse organisierte. Flankiert wurde die Kampagne von Rundmails und Posts in örtlichen Facebook-Gruppen. Der Weckruf an Lüneburger Bürgerinnen und Bürger funktionierte prompt, ab 7.30 Uhr gingen die ersten Anrufe ein, einige Notfälle konnten daraufhin umgehend in Familien beherbergt werden.
Auch langfristig trägt die Aktion Früchte. “Vielen Menschen in Lüneburg ist die Dramatik der Situation überhaupt erst bewusst geworden”, stellte Tanja Schaefer fest. “Wir konnten neue Interessenten erreichen und so unser Kontingent an Adressen wieder auffüllen.” Dem Sommersemester sieht die engagierte Zimmervermittlerin daher wieder optimistischer entgegen – und einen guten Tipp hat sie auch noch: “Ich versuche Outgoings anzusprechen und sie mit Incomings aus dem Ausland zusammenzubringen. Wenn ein Zimmertausch schon vor der Anreise organisiert werden kann, ist das für alle die beste Lösung.” Die Erfolgsquote sei hoch.
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