"Digitale Technologien verändern unser gesamtes Leben"
Interview: Gunda Achterhold (März 2023)
Die Universität Paderborn feierte 2022 ihr 50-jähriges Bestehen. Worauf sind Sie im Hinblick auf die internationale Positionierung der Hochschule besonders stolz?
Eines der Gründungsziele der Universität Paderborn war es, eine starke Strahlkraft in die Region hinein zu entfalten. Ihre Geschichte ist eng mit dem Computer-Pionier Heinz Nixdorf verbunden, sein Unternehmen war ein wichtiger Arbeitgeber in Ostwestfalen-Lippe. Informatik und Physik, alle Naturwissenschaften und Technik, auch in Verbindung mit den Kulturwissenschaften, waren daher von Anfang an fachliche Schwerpunkte der Hochschule. In den vergangenen 50 Jahren haben wir es geschafft, uns nicht nur in der Region, sondern auch im internationalen Kontext zu positionieren – darauf bin ich stolz. Mit Themen wie Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz oder Quantenphysik sind wir weit über Deutschland hinaus sichtbar geworden.
Aus welchen Regionen kommen internationale Studierende nach Paderborn?
Ein Schwerpunkt liegt im Raum Asien. Seit über 20 Jahren pflegen wir eine sehr intensive Kooperation mit China – mit Höhen und Tiefen und unter teils schwierigen politischen Rahmenbedingungen. Dennoch ist es immer wieder gelungen, das Band nicht abreißen zu lassen, gemeinsame Studiengänge auf den Weg zu bringen und gemeinsam Forschungsfragen anzureißen. Darüber hinaus haben wir gute Verbindungen nach Indien und Japan. Auch Länder, in denen die romanischen Sprachen gesprochen werden, sind bei uns sehr gut vertreten – mit unseren Partneruniversitäten in Argentinien, Chile und Kolumbien haben wir gerade den Studiengang PopMediaCulture entwickelt. Außerdem unterhält Paderborn – und das ist wirklich eine Besonderheit – eine bis ins Mittelalter hineinreichende Städtepartnerschaft zu Le Mans in Frankreich. Mit der dortigen Universität kooperieren wir beispielsweise in dem binationalen Studiengang Études Européennes.
Wie hoch ist der Anteil internationaler Studierender an der Universität Paderborn?
Interessanterweise haben wir während und nach Corona einen steigenden Anteil, es sind 14,5 Prozent, mit wachsender Tendenz. Im Vergleich: Vor zehn Jahren lag der Anteil noch deutlich unter 10 Prozent und konzentrierte sich auf wenige Länder. Das haben wir ausgebaut, beispielsweise über strategische Partnerschaften.
Die Gesamtzahl der Studierenden ist dagegen zum ersten Mal in der Geschichte der Universität Paderborn rückläufig.
Diese Tendenz zeigt sich aufgrund des demografischen Wandels in Deutschland insgesamt. Wir befinden uns inzwischen in einer großen Konkurrenz zu Unternehmen, Fachhochschulen, dem Handwerk – alle versuchen, junge Menschen stärker für sich zu gewinnen. Diese Situation stellt uns vor Herausforderungen, bietet jedoch auch die Chance, uns international nochmals sichtbarer aufzustellen. Ich bin davon überzeugt, dass der Anteil internationaler Studierender weiter zunehmen wird. Wir sind dabei, uns in allen Bereichen mehrsprachig aufzustellen, unsere Welcome Services noch weiter zu stärken und die Attraktivität der Region über Marketingmaßnahmen stärker nach außen zu transportieren.
Spielt die regionale Wirtschaft bei der Rekrutierung internationaler Zielgruppen eine Rolle?
Wir leben in Ostwestfalen-Lippe in einer Region mit einer großen Dichte an kleinen und mittelständischen Unternehmen. Viele von ihnen sind Familienbetriebe und Hidden Champions, die ein großes Interesse an Fachkräften haben, auch aus anderen Ländern. Sie sind sehr offen für Kooperationen, beispielsweise in Form von Praktika. Diese enge Verbindung der regionalen Wirtschaft mit der Universität ist attraktiv für internationale Studierende. Auf der anderen Seite sind interkulturelle Kompetenzen wichtig, damit Studierende sich gut in die Betriebe integrieren können. Wir haben daher in die international nachgefragten Studiengänge kulturwissenschaftliche Inhalte aufgenommen, damit unsere eigenen Studierenden ebenso wie Austauschstudierende unserer Partner gut vorbereitet sind und Verständnis für das jeweils andere Land mitbringen.
Wir stellen übrigens fest, dass die Bindewirkung in der Region recht groß ist. Der Arbeitsmarkt bietet gerade im Bereich IT viele Möglichkeiten, es gibt auch zahlreiche Ausgründungen aus der Universität. Eine ganze Reihe von Studierenden bleibt hier in der Gegend.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen einer Hochschule wie der Universität Paderborn im internationalen Wettbewerb?
Wir sind keine Metropole wie Berlin, München oder Hamburg, für uns gilt es, die Qualitäten einer mittelgroßen Universität herauszustellen – das Persönliche, die kurzen Wege, die Möglichkeit, uns ganz direkt anzusprechen. Viele Studierende, gerade wenn sie aus dem Ausland kommen, wissen das sehr zu schätzen. In Einzelgesprächen merken wir, dass diese Faktoren eine große Rolle für den Studienerfolg spielen, internationale Studierende fühlen sich bei uns gut aufgehoben. Wir haben beispielsweise regelmäßige Empfänge des Bürgermeisters, der sich explizit Zeit nimmt, sie zu Beginn ihres Studiums zu begrüßen. Und damit haben wir Erfolg: Aus China und anderen asiatischen Ländern kommt bereits die nächste Generation nach Paderborn, weil sie von ihren Eltern gehört haben, dass sie an der Universität Paderborn eine gute Studienzeit hatten. Das tradiert sich.
Digitalisierung und KI gehören zu den fachlichen Schwerpunkten der Universität Paderborn. Inwiefern lassen sie sich auch für das internationale Hochschulmarketing nutzen?
Gerade bei der Vorbereitung eines Studienaufenthaltes helfen uns Online-Formate oder auch Begegnungen in Virtual-Reality-Umgebungen sehr. Schon bevor die Studierenden an die Universität Paderborn kommen, können sie sich auf den Studienstandort vorbereiten, auch auf Studieninhalte. Wir haben allerdings keinen Studiengang vollständig online im Angebot, denn wir wollen, dass die Studierenden uns und den Campus vor Ort kennenlernen. Wir verstehen uns als Präsenzuniversität, die aber natürlich mit digitalen Technologien viel experimentiert und sie zur Unterstützung einer guten Lehre einsetzt.
Welche Themen beschäftigen Sie aktuell am meisten?
Ganz aktuell stellen wir uns die Frage, wie wir uns in Wissenschaft und Studium neu aufstellen. Wie positionieren sich Forschung und Lehre im Hinblick auf KI-Entwicklungen wie ChatGPT, und welchen Einfluss haben diese Entwicklungen auf die Umsetzung unserer Internationalisierungsstrategie? Das sind Fragen, die uns umtreiben und spannend sind. Gerade weil wir uns als eine Universität verstehen, die sehr stark die Chancen und Grenzen von Digitalisierungsprozessen diskutiert und zum Gegenstand hat.
Gewinnt die Wissenschaft einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft?
Ich bin davon überzeugt, dass die Digitalisierung unseren gesamten Lebens- und Arbeitskontext verändern wird. Als Wissenschaftsorganisation können wir einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die großen gesellschaftlichen Herausforderungen besser zu bewältigen – und wir sehen uns als Universität auch in der Verantwortung dazu. In der Verbindung zwischen Digitalisierung und Maßnahmen gegen den Klimawandel beispielsweise steckt viel Potenzial. Auch als Universität sind wir gefordert, etwa den internationalen Austausch möglichst klimasensibel zu gestalten. Digitale Lösungen können uns dabei unterstützen.
Wie blicken Sie als Soziologin auf diese Entwicklungen?
Als Soziologin beschäftigt mich, in welcher Weise diese Prozesse alle gesellschaftlichen Bereiche durchziehen. Alles wird sich ändern: Wie wir kommunizieren, die Art, wie wir zusammenleben, wie Arbeitsprozesse ablaufen. Wir sind gefordert, diese gesamtgesellschaftlichen Veränderungen in einer Art und Weise zu gestalten, dass Chancen genutzt und Risiken minimiert werden können. Und ich persönlich glaube, es stecken viele Möglichkeiten in diesem Transformationsprozess.
Der GATE-Germany-Lenkungsausschuss
Der Lenkungsausschuss ist das beschlussfassende Gremium von GATE-Germany. Er setzt sich zusammen aus dem Sprecher des Konsortiums Prof. Dr. Joybrato Mukherjee (Präsident des DAAD) und acht Rektorinnen und Rektoren bzw. Präsidentinnen und Präsidenten von GATE-Germany-Mitgliedshochschulen. Der Leiter der Geschäftsstelle Stefan Hase-Bergen nimmt beratend teil. Der Lenkungsausschuss verabschiedet strategische Richtlinien für die Arbeit des Konsortiums, berät bei der Jahresplanung und entscheidet über die Neuaufnahme von Konsortialmitgliedern.
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