"China ist nach wie vor ein attraktiver Markt"
Dieses Interview ist Teil unseres Länderprofils China, das Ihnen umfassende Informationen und Tipps zum chinesischen Hochschulmarkt bietet.
Autorin: Clara Krug (Juli 2024)
Herr Engelhardt, warum lohnt es sich für deutsche Hochschulen, in China aktiv zu sein?
China ist aus verschiedenen Gründen ein attraktiver Markt. Da ist zum einen die riesige Zahl von Schulabgängerinnen und -abgängern sowie Studierenden in China, die kontinuierlich zunimmt. Dieses Potenzial sollten deutsche Hochschulen nutzen. Neben der Quantität nimmt auch die Qualität stetig zu. Wenn es um Technologie und Wissenschaft geht, ist China in vielen Bereichen weltweit führend und belegt in verschiedenen Rankings die vorderen Plätze. Unter den chinesischen Studierenden gibt es daher viele sehr gute Talente. Kooperationsprojekte zwischen deutschen und chinesischen Hochschulen können grundsätzlich auch die Chinakompetenz in Deutschland steigern, was ja erklärtes Ziel der Bundesregierung ist.
Welche fachlichen Qualifikationen können deutsche Hochschulen in der Regel von chinesischen Studieninteressierten erwarten?
Bildung ist in China traditionell ein hohes Gut und wird als sehr wichtig erachtet. Die chinesischen Schülerinnen und Schüler durchlaufen ein anstrengendes Schulsystem, an dessen Ende die Gaokao steht. Dabei handelt es sich um eine sehr anspruchsvolle Abschlussprüfung, mit der sie sich für ein Hochschulstudium qualifizieren und die grundlegend über ihre Zukunft entscheidet. Deutsche Hochschulen können mit sehr disziplinierten, motivierten und arbeitswilligen chinesischen Studierenden rechnen, die ein gutes allgemeines und fachspezifisches Wissen haben.
Welche Sprachkenntnisse bringen chinesische Studierende mit?
Englisch lernen die meisten Chinesinnen und Chinesen schon von klein auf. Ihr Sprachniveau ist recht hoch, beschränkt sich oft aber auf das Schreiben, Lesen und vielleicht noch Hören. Das Sprechen ist in der Regel ein bisschen schwächer ausgeprägt, weil es in China im Alltag nicht so viele Berührungspunkte mit der englischen Sprache gibt wie etwa in Europa. Die wenigsten Chinesinnen und Chinesen erlernen in einer klassischen Schullaufbahn die deutsche Sprache, wobei es natürlich deutsche Schulen und weitere Schulen mit Deutschunterricht gibt.
Wie schätzen Sie das aktuelle Interesse chinesischer Studierender an einem Deutschlandaufenthalt ein?
Deutschland genießt unter chinesischen Studierenden nach wie vor einen sehr guten Ruf und steht für eine hohe Qualität in Forschung und Technologie. Hinzu kommen die vergleichsweise niedrigen Studien- und Lebenshaltungskosten – auch sie sind ein Argument für Deutschland. Aktuell ist im Übrigen die Jugendarbeitslosigkeit in China hoch, was eine zusätzliche Motivation sein kann, ins Ausland zu gehen. Einschränkend lässt sich feststellen, dass sich die Coronapandemie negativ auf die Studierendenmobilität in China ausgewirkt hat. Während dieser Zeit konnten die Menschen das Land kaum verlassen. Auch wenn das jetzt wieder uneingeschränkt möglich ist, hat sich daraus ein Stück weit eine neue Normalität entwickelt. Tendenziell werden Kurzaufenthalte öfter in Erwägung gezogen als früher.
Welche anderen Zielländer machen Deutschland Konkurrenz und warum?
Die wichtigsten Konkurrenten aus deutscher Sicht sind die USA, Großbritannien und Kanada. Die Hochschulen dieser Länder schneiden in internationalen Rankings sehr gut ab. Da Rankings in China ein wichtiges Argument sind, erläutern wir chinesischen Studieninteressierten in unseren Beratungsgesprächen häufig zunächst, dass sich deutsche Hochschulen über andere Qualitätsstandards und Indikatoren definieren. In den vergangenen Jahren haben wir zudem festgestellt, dass sich chinesische Studieninteressierte zunehmend für ein Studium in Südostasien entscheiden. Hochschulen etwa in Thailand oder Vietnam liegen geografisch näher und sind günstiger als beispielsweise die USA. Zudem nehmen chinesische Studieninteressierte das Leben in südostasiatischen Ländern als sehr angenehm und entspannt wahr. Innerhalb Europas ist Frankreich ein zunehmend starker Konkurrent für Deutschland. Grundsätzlich wird in China sicher auch wahrgenommen, dass die Hürden für einen Aufenthalt in Deutschland zum Teil hoch sind.
Worin genau liegen potenzielle Hürden für chinesische Studierende, wenn es um ein Studium in Deutschland geht?
Die größte Herausforderung liegt wohl in der langen Vorlaufzeit, die für Hochschulzulassung und Visum eingeplant werden muss. Chinesische Studieninteressierte mit dem Wunsch, ein Studium oder einen Studienaufenthalt in Deutschland zu absolvieren, wenden sich zunächst an die Akademische Prüfstelle (APS), eine Service-Einrichtung des Kulturreferates der Deutschen Botschaft Peking in Zusammenarbeit mit dem DAAD. Nach erfolgreicher Prüfung erteilt sie ein Zertifikat, das von den deutschen Hochschulen als eine Zulassungsvoraussetzung verlangt wird.
Zudem müssen aktuell lange Wartezeiten für ein Visum eingeplant werden. Das verursacht große praktische Schwierigkeiten, zum Teil verpassen die Studierenden dadurch Bewerbungs- und Einschreibefristen. Davon abgesehen können natürlich vor allem im Bachelorbereich auch die deutschen Sprachanforderungen eine Hürde darstellen.
Aktuell kommt die geopolitische Situation als Herausforderung hinzu. Viele westliche Staaten üben Kritik an der Politik Chinas. Das wird in China durchaus gesehen und ist möglicherweise ein Argument gegen einen Aufenthalt in Deutschland. Aus deutscher Sicht gibt es zudem, insbesondere in den MINT- und Technologiefächern, die Dual-Use-Problematik. Mit ihr ist die Befürchtung verbunden, dass Wissen aus Deutschland in China militärisch genutzt werden könnte. Im Bachelor- und Masterbereich ist dieses Risiko allerdings weniger relevant als im PhD-Sektor.
Kommen wir zu konkreten Tipps: Wie kann eine deutsche Hochschule chinesische Studieninteressierte von sich überzeugen?
Besonders wichtig im Marketing sind aus unserer Sicht Role Models, also Erfahrungsberichte von chinesischen Alumnae und Alumni oder Studierenden, die bereits einen Studienaufenthalt in Deutschland absolviert haben. Sie bieten Identifikationspotenzial und können über ihre Zeit in Deutschland und auch ihren anschließenden Karriereweg berichten, am besten auf Chinesisch.
Der wichtigste Kommunikationskanal sind die Sozialen Medien. Die meisten jungen Chinesinnen und Chinesen informieren sich über Plattformen wie WeChat, Weibo, Xiaohongshu, TikTok (Douyin), weniger über klassische Websites. Dennoch sollten deutsche Hochschulen darauf achten, alle Informationen auf ihrer Website auf Englisch anzubieten. Für die erste Ansprache wäre ein chinesisches Informationsangebot perfekt, damit kann man sicherlich hervorstechen. Informationen sollten so kompakt und prägnant wie möglich aufbereitet sein. Zudem legen junge Chinesinnen und Chinesen Wert auf ein ansprechendes, nutzerfreundliches Webdesign. Und obwohl hier alles sehr digitalisiert ist, lohnen sich auf Messen auch noch Printmaterialien, insbesondere mit QR-Codes zu weiterführenden Online-Informationen.
Empfehlen Sie deutschen Hochschulen die Präsenz auf Messen?
Ja, Messen sind in China eine sehr wichtige Informationsplattform. Jedes Jahr im Herbst findet mit der China Education Expo (CEE) eine wichtige Veranstaltung auch für deutsche Hochschulen statt. Ebenso interessant ist die vom China Scholarship Council (CSC) organisierte IGSF (International Graduate Scholarship Fair), die größte Messe im Hochschulsektor für den PhD-Bereich. Eine wichtige Plattform zur Rekrutierung von PhD-Studierenden ist zudem der PhD Workshop China, der von der China Education Association for International Exchange (CEAIE) organisiert wird.
Ein weiterer Anknüpfungspunkt für die Rekrutierung chinesischer Studierender sind natürlich Kooperationsprogramme zwischen den Hochschulen. Das können kleinere Formate wie Summer Schools sein oder auch Double-Degree-Programme. Außerdem ist die Alumniarbeit sehr wichtig. Beim DAAD versuchen wir zum Beispiel, unsere chinesischen Alumni und Alumnea, die in Deutschland studiert haben, hier in China bei Veranstaltungen oder Informationsangeboten einzubinden. Das schafft einen großen Mehrwert.
Gibt es Unterschiede zwischen der Rekrutierung im Bachelor-, Master- oder Promotionsbereich?
Im Bachelor- und Masterbereich ist die Ansprache der potenziellen Studierenden aus meiner Sicht ähnlich, mit der Einschränkung, dass man im Masterbereich noch stärker betonen kann, dass viele Studiengänge auf Englisch angeboten werden. Im Promotionsbereich spielt die Betreuungsperson eine entscheidende Rolle. Chinesische Studierende legen Wert auf die Reputation und nehmen es durchaus als positiv wahr, wenn der- oder diejenige eine Verbindung zu China hat.
Welche Rolle spielen die Eltern für die Studienwahl junger Chinesinnen und Chinesen?
Traditionell nehmen die Eltern in China einen starken Einfluss auf die Entscheidungen ihrer Kinder. In unseren Beratungsgesprächen sind in einigen Fällen sogar nur die Eltern anwesend. Um sich zu informieren, nutzen die heutigen Elterngenerationen meist die gleichen Kanäle und Medien wie potenzielle Studierende.
Welches sind die meistgestellten Fragen in Ihren Beratungen zum Studienstandort Deutschland?
Sehr oft gestellt werden Fragen rund um die Sprache: Gibt es an deutschen Hochschulen Studiengänge auf Englisch, wie schwer oder einfach ist das Erlernen der deutschen Sprache? Neben einer generellen Beratung zum Studiensystem interessiert viele, welche Fächer man in Deutschland besonders gut studieren kann, auch im Vergleich zu anderen Ländern. Eltern möchten zudem sicherstellen, dass ihre Kinder nach dem Studium gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt haben. Sehr häufig geht es in unseren Gesprächen auch um Fragen zur Finanzierung, zu Stipendien und zur Lebenssituation – etwa zur Infrastruktur oder zum öffentlichen Personennahverkehr in Deutschland oder auch zur Sicherheit. Insgesamt wird Deutschland als lebenswertes, sicheres Land wahrgenommen. Da in den Sozialen Medien jedoch ab und an Nachrichten von Diskriminierungen chinesischer Studierender in unterschiedlichen Ländern auftauchen, werden wir auch danach gefragt.
Gibt es kulturelle Besonderheiten, die deutsche Hochschulen bei der Ansprache chinesischer Studierender beachten sollten?
Ganz grundsätzlich empfehle ich, chinesischen Studierenden und ihren Eltern respektvoll entgegenzutreten und dabei zu bedenken, dass es sich um ein Land mit anderen kulturellen und gesellschaftlichen Begebenheiten handelt. Ein banales, aber gutes Beispiel: Menschen in Deutschland tun sich oft schwer mit der Aussprache chinesischer Namen und können Vor- und Nachnamen nicht unterscheiden. Es macht einen guten Eindruck, wenn chinesische Studierende und ihre Eltern merken, dass man sich informiert hat und zumindest versucht, den Namen richtig auszusprechen.
Sehen chinesische Studierende nach einem erfolgreichen Studium ihre Karrierechancen eher in Deutschland oder bevorzugen sie eine Rückkehr nach China?
Generell bietet der deutsche Arbeitsmarkt chinesischen Absolventinnen und Absolventen viele Möglichkeiten. Zudem haben sie die Möglichkeit, für deutsche Unternehmen oder Institutionen in China zu arbeiten. Arbeitgeber schätzen die China- und Deutschlandkompetenz der Bewerberinnen und Bewerber. Nach unseren Beobachtungen möchten viele chinesische Studierende nach ihrem Aufenthalt in Deutschland zurück nach China – auch ihre Eltern wünschen sich das in vielen Fällen.
Welche Interessen haben chinesische Hochschulen an Kooperationen mit deutschen Hochschulen?
Das Interesse chinesischer Hochschulen ist hoch, weil sie durch Kooperationen die eigene Lehr- und Forschungsqualität verbessern sowie ihre internationale Bekanntheit und Attraktivität für Studierende steigern können. Da die großen deutschen Universitäten inzwischen allerdings bereits viele Kooperationen mit chinesischen Hochschulen haben, bestehen für kleinere deutsche Hochschulen heute tendenziell mehr Möglichkeiten als noch vor ein paar Jahren. Da in China das Konzept der Angewandten Hochschulen noch nicht ganz so verbreitet ist, aber insbesondere mit Blick auf die derzeit hohe Jugendarbeitslosigkeit interessanter wird, rechne ich mit guten Chancen insbesondere für deutsche HAW.
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