"Wir müssen die Menschen mitnehmen"

Porträtfoto von Prof. Dr. Gesine Grande
© Kirsten Nijhof

Die BTU Cottbus-Senftenberg ist die zweitgrößte Universität in Brandenburg. Der Strukturwandel in der Lausitz ist hier auch in Forschung und Wissenschaft ein wichtiges Thema. In der gesellschaftlichen Akzeptanz technologischer Innovationen sieht Professorin Dr. Gesine Grande eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg von Transformationsprozessen. Seit 2022 ist die Psychologin Präsidentin der BTU und seit 2024 Mitglied des Lenkungsausschusses von GATE-Germany.

Interview: Gunda Achterhold (März 2024)

Frau Professorin Grande, die BTU ist 2013 aus der Hochschule Lausitz und der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus entstanden. Welche Rolle spielte die internationale Positionierung der Hochschule in diesem Prozess?

Tatsächlich ist die BTU neben der Neugründung der TU Nürnberg immer noch die jüngste technische Universität in Deutschland, letztes Jahr haben wir unser Zehnjähriges gefeiert. Mit Blick auf die Internationalisierung hatte die Fusion eher wenig Effekte. Schon vorher war die BTU eine deutlich international orientierte Uni, bundesweit hatten wir den ersten englischsprachigen Bachelorstudiengang. Diesen Weg hat die BTU fortgesetzt, die Zahl unserer internationalen Studierenden ist stetig gewachsen.

Bei den Studienanfängerinnen und Studienanfängern lag der Anteil zu Beginn des aktuellen Semesters bei 47 Prozent.

Ja, und insgesamt sind wir bei etwa 44 Prozent. Im Masterbereich liegt der Anteil höher, weil wir dort die englischsprachigen Studiengänge angesiedelt haben. Für unsere Universität sind diese vielen internationalen Studierenden ein Mehrwert, sie bereichern das Campusleben, erweitern unseren Horizont und schaffen neue Dimensionen in unserem universitären Miteinander. Zudem ist die BTU, wie andere Hochschulen auch, immer mehr darauf angewiesen, junge Talente aus dem Ausland zu uns zu holen. Und da ist es gut, wenn man schon eine große internationale Gemeinschaft hat.

Die BTU bietet seit 2022 vier neue Studiengänge im Bereich KI an, sie verzeichnen einen internationalen Ansturm.

Künstliche Intelligenz ist aktuell ein Thema, das weltweit viele junge Leute bewegt. Besonders groß ist das Interesse an unserem englischsprachigen Masterstudiengang Artificial Intelligence, die Zahl der Bewerbungen zum Sommersemester ist noch einmal um ca. 1.600 Studieninteressierte gestiegen. Eine anhaltend hohe Nachfrage verzeichnen wir auch bei etablierten englischsprachigen Studiengängen, die World Heritage Studies beispielsweise spielen schon seit zwanzig Jahren eine große Rolle. Bei uns studieren viele junge Menschen, die dann später die Weltkulturerbestätten betreuen. In diesem Bereich gibt es ein weltweites Netzwerk, das zu einem großen Teil aus Alumni unserer Studiengänge besteht. Auch der in den Umweltwissenschaften angesiedelte Studiengang Environmental and Resource Management ist sehr gut nachgefragt.

Aus welchen Ländern kommen die Bewerbungen für die KI-Studiengänge?

Insgesamt aus 120 Ländern, aber wir haben schon einen starken Anteil aus Indien, Pakistan und Bangladesch. Die Bewerberinnen und Bewerber aus diesen Regionen bringen oft eine sehr gute MINT-Ausbildung mit, insofern sind sie für uns wirklich eine Auswahl der Besten. Ich denke da auch an die Chancen bei der Fachkräftegewinnung hier in der Lausitz.

Sind das Regionen, die Sie mit Ihren Marketingmaßnahmen ganz gezielt ansprechen?

Wir profitieren vor allem von einer regen Mund-zu-Mund-Propaganda durch die entsprechenden Communities an unserer Hochschule. Zudem tritt unser International Relations Office mit allen internationalen Studieninteressierten von der ersten Kontaktaufnahme an in einen engen Austausch, bietet bereits während des Bewerbungsprozesses regelmäßig Online-Sessions an und begleitet sie auch nach der Immatrikulation weiterhin intensiv. Den Erfolg sehen wir an den Zahlen.

Ein zentrales Thema in der Region ist der Strukturwandel in der Lausitz, die BTU versteht sich hier als ein Innovationsmotor. Spielt das auch für die internationale Profilbildung eine Rolle?

Das ist eine spannende Frage, denn der Strukturwandel ist ja erst einmal etwas sehr Regionales. Um eine Transformation hin zu Nach-Kohleabbauzeiten zu schaffen, braucht es jedoch sehr viel Kreativität und Impulse, die unserer Meinung nach vor allem über Innovation und Wissenschaft gesetzt werden können – mit dem Ziel, durch wissenschaftliche, aber auch wirtschaftliche Ansiedlungen neue Arbeitsplätze in der Region zu schaffen. Über das Lausitz Science Network haben wir hier schon eine sehr erfolgreiche Grundlage.

Wie sieht dieses Netzwerk aus?

Mit einer Allianz von insgesamt 12 Forschungseinrichtungen entsteht in der brandenburgischen Lausitz eine neue Wissenschaftslandschaft. Unser Anliegen ist es, Kräfte zu bündeln, um an diesem Standort wissenschaftliche Exzellenz entstehen zu lassen, Sichtbarkeit zu schaffen, internationale Forschungsnetzwerke aufzubauen und Nachwuchs aus dem Ausland zu rekrutieren. Insofern spielt die internationale Profilbildung der BTU tatsächlich eine Rolle, obwohl der Strukturwandel eigentlich einen regionalen Fokus hat.

Arbeiten Sie gezielt mit der lokalen Wirtschaft zusammen, um möglichst frühzeitig Einstiegsmöglichkeiten zu schaffen?

Auf alle Fälle. Der Strukturwandel in der Lausitz kann nur gelingen, wenn wir es schaffen, Talente aus aller Welt hierher zu holen und – ganz wichtig – sie auch zu halten. Dabei arbeiten wir eng mit regionalen Unternehmen zusammen und organisieren gemeinsame Workshops, um Brücken zu schlagen und Verbindungen zu schaffen. Über Projekte wie “Start up your Career in Germany” unterstützen wir internationale Studierende in allen Studienphasen bei der Integration in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft. Besonders gut kommen übrigens Speeddatings mit Unternehmen an, die im Rahmen der größten Absolventenmesse Brandenburgs hier in Cottbus angeboten werden.

Die Internationalisierung der Forschungs- und Wissenschaftslandschaft könnte sich auch positiv auf die gesellschaftliche Entwicklung in der Region auswirken. Sehen Sie Anzeichen dafür?

Wir sind alle davon überzeugt, und wir stehen auch eng zusammen. Der Bürgermeister von Cottbus, wir als Uni, das Staatstheater, das Landesmuseum, auch große Unternehmen wie die Deutsche Bahn und LEAG. Kurz nach der Wende haben in der Lausitz noch 80.000 Menschen im Kohleabbau gearbeitet, zehn Jahre später waren noch 8.000 übrig. Viele sind weggegangen. Ich glaube fest daran, dass es einer solchen Region guttut, wenn sie sich öffnet, wenn es neue Einflüsse gibt. Auch wenn das am Anfang erst einmal für Irritationen sorgt oder Gewöhnung braucht. Wir reden über tausende neue Jobs, die hier entstehen, in der Wissenschaft, am Universitätsklinikum oder in Unternehmen. Es kommen Menschen mit ihren Familien, mit anderen Sozialisationserfahrungen aus dem Ausland oder aus anderen Regionen Deutschlands. Die Veränderungen sehen wir jetzt schon in der Stadt.

Weiten wir den Blick, wo sehen Sie für Hochschulen in Deutschland aktuell die größten Herausforderungen?

Viele Standorte, insbesondere die technischen Universitäten, müssen sich ganz klar mehr Gedanken darüber machen, wie sie – auch international – rekrutieren. Wir können nicht alle nehmen, die kommen wollen. Was wir brauchen, ist eine Passgenauigkeit. Hochschulen müssen mehr in die Auswahlprozesse investieren und junge Menschen darin unterstützen, eine möglichst informierte, kluge Entscheidung zu treffen und ihr Studium dann auch zu Ende bringen. Wir brauchen einen ganzheitlichen Betreuungsansatz, der alles mitdenkt. Das schließt auch eine frühe Orientierung in Richtung einer späteren beruflichen Karriere mit ein.

Der GATE-Germany-Lenkungsausschuss

Der Lenkungsausschuss ist das beschlussfassende Gremium von GATE-Germany. Er setzt sich zusammen aus dem Sprecher des Konsortiums Prof. Dr. Joybrato Mukherjee (Präsident des DAAD) und acht Rektorinnen und Rektoren bzw. Präsidentinnen und Präsidenten von GATE-Germany-Mitgliedshochschulen. Der Leiter der Geschäftsstelle Stefan Hase-Bergen nimmt beratend teil. Der Lenkungsausschuss verabschiedet strategische Richtlinien für die Arbeit des Konsortiums, berät bei der Jahresplanung und entscheidet über die Neuaufnahme von Konsortialmitgliedern.

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