Europäische Hochschulen: neue Allianzen mit weltweiter Strahlkraft
Autorin: Gunda Achterhold (Januar 2023)
Gleichzeitig in verschiedenen Ländern studieren, den Lehrplan nach eigenen Interessen zusammenstellen, für ein Praktikum nach Spanien gehen und nebenbei Sprachen wie Finnisch oder Polnisch lernen: Die Europäische Hochschule Young Universities for the Future of Europe (YUFE) wirbt mit einer YUFE Student Journey, die viele Freiheiten erlaubt. “Die Allianz mit unseren europäischen Partnern ermöglicht Studierenden eine individuelle Studienverlaufsplanung”, sagt Dr. Sarah Wilewski, YUFE-Koordinatorin an der Universität Bremen. “Hochschulübergreifend können sie Vertiefungsrichtungen wählen, die zu ihren persönlichen Interessen und Berufsvorstellungen passen.”
Auf dem Weg zu Europäischen Hochschulen
In zwei Pilotausschreibungen 2019 und 2020 wählte die Europäische Kommission die ersten Europäischen Hochschulallianzen aus – mit dem Ziel, sie auf dem Weg zu Europäischen Hochschulen zu fördern und zu unterstützen. Die Netzwerke sollen die Stärken und die Vielfalt europäischer Forschung und Lehre bündeln und zur Qualität, Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit europäischer Hochschulinstitutionen beitragen. Nach der ersten regulären Ausschreibung im Rahmen von Erasmus+ im Jahr 2022 gibt es nun 44 Europäische Hochschulen, aus Deutschland sind insgesamt 42 Hochschulen an 37 der geförderten 44 Allianzen beteiligt. Acht Europäische Hochschulen werden von deutschen Einrichtungen koordiniert. In zwei weiteren Ausschreibungen in den Jahren 2023 und 2024 soll die Initiative auf insgesamt 60 Allianzen mit 500 beteiligten Hochschulen ausgeweitet werden. Dafür stellt die Europäische Kommission im Rahmen der aktuellen Erasmus+ Programmgeneration (2021-2027) 1,1 Mrd. Euro zur Verfügung.
Vernetzen, kooperieren, voneinander lernen
Im Unterschied zu anderen Hochschulkooperationen, an denen einzelne Fakultäten beteiligt sind, arbeiten Europäische Hochschulen auf allen Ebenen zusammen. Diese Form der Vernetzung, von der Hochschulleitung bis hin zur Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit, erfordert einen hohen Aufwand. “Der Austausch mit Fachkollegen und Fachkolleginnen aus verschiedenen Ländern bietet jedoch viele Lernmöglichkeiten und gibt uns wertvolle Denkanstöße”, sagt YUFE-Koordinatorin Wilewski. “Wir erfahren, wie andere es machen, und wir durchlaufen gemeinsam einen Modernisierungsprozess.”
Die Universität Bremen war schon in der ersten Pilotrunde mit dabei. “In dieser Phase konnten wir verschiedene Formate ausprobieren und daran arbeiten, diese auszuweiten”, so Wilewski. Die Beteiligung an einer multilateralen europäischen Allianz trage spürbar zur Sichtbarkeit der Universität Bremen bei. “Wir stellen fest, dass die an Themenclustern orientierte Struktur bei Studierenden und Postdocs sehr gut ankommt. Das Interesse besteht nicht nur im europäischen Raum, sondern weit darüber hinaus”, so Wilewski. Das zeige auch die bisherige Resonanz auf das neue YUFE4Postdocs-Programm, das 2023 an den Start gehe.
Noch spielt ein gezieltes Marketing als “Europäische Hochschule” an den deutschen Hochschulen eine eher untergeordnete Rolle. “Sie sind bislang vor allem damit beschäftigt, tragfähige Strukturen aufzubauen”, sagt Birgit Siebe-Herbig, Referatsleiterin für Forschung, Internationalisierung und Hochschulnetzwerke beim DAAD. Ihr Referat koordiniert das nationale Begleitprogramm Europäische Hochschulnetzwerke (EUN) – nationale Initiative. Es flankiert die europäische Initiative und unterstützt beteiligte deutsche Hochschulen mit zusätzlichen Mitteln. Diese sogenannten “Topping ups” werden von den Hochschulen häufig als Personalmittel genutzt. Für die Verstärkung der International Offices beispielsweise oder für Digitalexperten und Digitalexpertinnen, die ihr Know-how bei der Zusammenführung der jeweils individuellen Hochschulstrukturen zu einem gemeinsamen interuniversitären Campus aller Partnerinstitutionen einbringen.
“Ein weiteres Kernelement der Europäischen Hochschulen sind wissensbildende Teams von Studierenden, Forschenden und externen Partnern, die gemeinsam an Lösungen für gesellschaftliche und andere Herausforderungen arbeiten und so den Transfer multidisziplinärer Forschung in die Zivilgesellschaft beschleunigen”, sagt Siebe-Herbig. Im Rahmen digitaler Foren unterstützt das nationale Begleitprogramm daher den Austausch der beteiligten deutschen Hochschulen zu verschiedensten Themen rund um die Bereiche Forschung, Lehre und Transfer. Darüber hinaus ist die Unterstützung der deutschen Hochschulen beim Abbau regulatorischer Hürden und Barrieren in der europäischen Hochschulkooperation ein zentrales Thema im nationalen Begleitprogramm. Dazu werden Hochschulen und Vertreterinnen und Vertreter von Bund und Ländern zu sogenannten Runden Tischen eingeladen.
Hohe Erwartungen an das Marketingpotenzial
Eine kleine Umfrage unter Teilnehmenden eines EUN-Forums im Dezember 2022 zeigte die hohen Erwartungen, die sich mit den Europäischen Hochschulallianzen als Aushängeschild im internationalen Marketing verbinden. Während vier der insgesamt 25 befragten Hochschulen dem Marketing bereits in der Umsetzungsphase eine große Relevanz einräumten, messen gut die Hälfte der Befragten dem Marketing in Zukunft eine große Bedeutung zu.
An der Universität Siegen war die Markenbildung von Anfang an erklärtes Ziel, die Hochschule wird seit 2020 im Rahmen des EUN-Programms gefördert. Unter dem Label “Wir 7” tritt die Europäische Hochschule Advanced Technology Higher Education Network Alliance (ATHENA) nach außen auf. “Als Verbund kleiner und mittlerer Hochschulen aus Regionen mit relativ starkem Industriebezug wollen wir ATHENA zu einer weltweit anerkannten Marke wachsen lassen, die für exzellente Bildung und Forschung steht”, sagt Prof. Dr.-Ing. Hubert Roth, Projektleiter für ATHENA an der Universität Siegen. Die Fachkräftegewinnung für die Region ist ein wesentlicher Schwerpunkt dieser Allianz mit Partnern aus sieben europäischen Ländern.
“Internationale Studierende aus für uns wichtigen Zielregionen wie Indien, Pakistan, China oder Vietnam orientieren sich vor allem an Hochschulrankings“, so Roth. Im Wettbewerb mit prominenten internationalen Universitäten könnten sich kleinere Hochschulen jedoch meistens nur auf Plätzen im hinteren zweistelligen Bereich behaupten. “Wenn in ATHENA Hochschulen mit ihren jeweiligen Leuchtturm-Disziplinen zusammenwachsen, in denen sie besonders stark sind, werden sie sichtbarer und attraktiver”, sagt Koordinator Roth. “Wir merken jetzt schon, dass wir als Europäische Hochschule ganz andere internationale Zielgruppen ansprechen, Studierende ebenso wie Lehrende.” So schloss beispielsweise das RUFORUM, ein Verbund von mehr als 150 afrikanischen Universitäten, ein Memorandum of Understanding mit ATHENA.
Studierende als Markenbotschafter
Im internationalen Marketing arbeiten die sieben ATHENA-Hochschulen eng zusammen, ein gemeinsames International Relations Office bündelt und bewirbt alle für den internationalen Austausch relevanten Aktivitäten der Europäischen Hochschule. Der Arbeitsschwerpunkt “Branding” wird von der Technischen Universität im litauischen Vilnius geleitet, Vertreter und Vertreterinnen der Europäischen Hochschule bringen in den monatlichen Meetings Anregungen und Informationen aus den eigenen Einrichtungen ein. Besonders gut kam zuletzt eine Veranstaltung aus dem ATHENA-Arbeitskreis Career Service an. Ein digitaler Workshop brachte Studierende der Hochschulpartner mit regional ansässigen Unternehmen aus den sieben Partnerländern zusammen. Die Teilnehmenden erfuhren aus erster Hand, worauf Firmen in Litauen, Portugal oder Frankreich bei Bewerbungen Wert legen, sie konnten sich über fachliche Schwerpunkte informieren und zum Teil auch schon direkt Kontakte knüpfen.
“Es war toll, verschiedene Unternehmen aus mehreren Ländern kennenzulernen und dabei auch gleich einiges über die Unterschiede in den Unternehmenskulturen zu erfahren”, sagt Sophia E. Fakih Rojas. Die 27-jährige Masterstudentin aus Venezuela studiert Mechatronik an der Universität Siegen und engagiert sich im ATHENA Student Board. Die Hochschule bindet Studierende als Markenbotschafter und Markenbotschafterinnen eng in ihr internationales Marketing ein. “Der Workshop hat uns auf die Idee gebracht, eine Liste der verschiedenen Unternehmen in den Regionen der Partnerländer zu erstellen”, so Fakih. “Das erleichtert die Suche nach einem Praktikum im Ausland.”
Als Mitglied der Arbeitsgruppe “Branding and Communication” ist die Studentin vor allem auf Social Media aktiv. “Wir sind dabei, die virtuelle Identität der Hochschule zu erneuern und setzen dabei besonders auf den Erlebnischarakter von Instagram.” In monatlichen Meetings sammelt die Gruppe ATHENA Europe Ideen der Partnerhochschulen, bei der Umsetzung arbeitet sie mit den International Offices und der Öffentlichkeitsarbeit zusammen. “Da wir auch die offiziellen Kanäle der Hochschule für die Bewerbung unserer Beiträge nutzen können, haben wir eine ziemlich gute Reichweite”, berichtet Sophia Fakih. Ihr Takeover auf Instagram, ein Rundgang über den Campus der Universität Siegen, wurde von mehr als 3.000 Nutzerinnen und Nutzern gesehen. Ein kurzes Reel (Videoclip) zu einem Workshop im FabLab, der interdisziplinären Kreativwerkstatt der Universität Siegen, wurde mehr als 4.000 Mal aufgerufen. 2023 startet die Arbeitsgruppe mit einer Takeover-Reihe, in der Studierende über das Leben in den Städten der sieben ATHENA-Hochschulen berichten. “Unser Ziel ist es, Universitäten und Studierende zusammenzubringen”, sagt Markenbotschafterin Fakih aus Venezuela. “Über eine Allianz, in der sieben Hochschulen und sieben Länder vertreten sind, entstehen Verbindungen, die über deutsche und europäische Grenzen weit hinausgehen.”
Weiterführende Informationen
DAAD-Podcast Campus Europa
In bislang zwei Staffeln berichten Vertreterinnen und Vertreter deutscher Hochschulen von den Chancen und den Herausforderungen auf dem Weg zur Europäischen Hochschule. 2022 wurde der DAAD-Podcast Campus Europa mit dem FOX AWARD in Silber in der Kategorie “Aus- und Weiterbildung” ausgezeichnet. Die Themen reichen von Europäische Hochschulen als Experimentierfeld über Kunst als Identitätsstifter bis hin zu Chancengleichheit und Vielfalt als Markenzeichen Europäischer Hochschulen.
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