Anfeindungen auf dem Campus: Prävention und Handlungsstrategien

Studierende bilden eine Menschenkette und blicken gemeinsam aus einem Fenster
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Wie gehen deutsche Hochschulen mit Vorfällen von gruppenbezogener Diskriminierung, Rassismus oder rechtsextremer Einflussnahme um? Im Rahmen der DAAD-Netzwerkkonferenz 2024 diskutierten Hochschulmitarbeitende, welche Erfahrungen sie im Umgang mit Anfeindungen machen. Wichtig sind klare Strukturen und Maßnahmen, die schnell greifen.

Autorin: Gunda Achterhold (November 2024)

Rassismus, Antisemitismus und andere Ausprägungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nehmen in Deutschland messbar zu. Zu diesem Ergebnis kommt die Friedrich-Ebert-Stiftung in ihrer Studie “Die distanzierte Mitte”. Jeder Zehnte der Befragten zeigte sich gesellschaftlichen Minderheiten gegenüber grundsätzlich eher feindselig und diskriminierend eingestellt. 34 Prozent der Befragten waren der Ansicht, Geflüchtete kämen nur nach Deutschland, um das Sozialsystem auszunutzen. 16,5 Prozent unterstellten jüdischen Menschen, heute ihren Vorteil aus der Vergangenheit des Nationalsozialismus ziehen zu wollen, weitere 19 Prozent zeigten ambivalente Haltungen gegenüber antisemitischen Positionen. Auch rassistisch motivierte Gewalt nimmt in Deutschland zu, die aktuelle Jahresbilanz der Opferberatungsstellen in Deutschland ist alarmierend.

Diese Entwicklung macht auch vor den Hochschulen nicht Halt. “Das Thema war schon immer wichtig”, sagt Dr. Alexander Schwarzkopf, Ansprechpartner für internationale Doktorandinnen und Doktoranden sowie Postdocs an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. “Die aktuellen politischen Entwicklungen machen sich jedoch auch in unserem Hochschulalltag immer stärker bemerkbar.” Ein Vorfall beschäftigte ihn besonders: “Es ging um einen verbalen und physischen Übergriff, der auch einen rassistischen Hintergrund hatte”, so Schwarzkopf. Die betroffene Person wandte sich im Rahmen einer Sprechstunde an ihn. “In dem Moment fühlte ich mich ratlos, weil ich nicht wusste, an wen ich mich jetzt wenden kann – und muss, um eine adäquate Reaktion der Hochschule auszulösen.”

Worst-Case-Szenarien: Im Krisenfall muss es schnell gehen

Die Universität Jena hat schnell reagiert und eine Meldekette aufgebaut. Alle wichtigen Kontaktstellen – das Studierendendezernat, das Gleichstellungsbüro, das Diversitätsbüro, die Gleichstellungsbeauftragte, die Hochschulkommunikation, das Internationale Büro und die Graduierten-Akademie als zentraler Ansprechpartner für Promovierende und PostDocs – sind über einen E-Mail-Verteiler intern miteinander verbunden. Die Kommunikation bleibt vertraulich. Nicht selten wenden sich Betroffene innerhalb der Hochschule an mehrere Abteilungen zugleich. Über die Meldekette wird sichergestellt, dass es bereits einen Erstkontakt gab und die Beteiligten das weitere Vorgehen zügig untereinander abstimmen können.

Hochschulen und ihre Mitarbeitenden sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Um (potenziell) Betroffene zu schützen und für internationale Studierende und Forschende attraktiv zu bleiben, suchen sie zunehmend nach Möglichkeiten der Prävention und etablieren Unterstützungsmöglichkeiten. Das zeigte eine Session im Rahmen der DAAD-Netzwerkkonferenz 2024 in Bonn. Die Veranstaltung zu “Anfeindungen auf dem Campus” war sehr gut besucht, die anschließende Diskussion im Plenum lebhaft. Tenor: Der Schutz vor Diskriminierung ist ein Thema der ganzen Institution. Viele Hochschulen entwickeln Richtlinien zum Schutz von Minderheiten und bieten Weiterbildungen zum Umgang mit Diskriminierung an. Die Hochschule Rhein-Waal beispielsweise setzte 2022 im Dezernat für Studienangelegenheiten eine Antidiskriminierungsbeauftragte ein. Auch in der Außenkommunikation stellen sich Hochschulen auf den Umgang mit Diskriminierungsmeldungen ein und entwerfen in den Social Media-Abteilungen mögliche Szenarien für den Fall der Fälle.

Als Schnittstelle zu den Medien ist die Hochschulkommunikation ein wichtiger Akteur. Wenn etwas passiert, sollte sie von Anfang eingebunden sein, um zeitnah entscheiden zu können, wo und wie eine Positionierung in der Öffentlichkeit geboten ist. Hochschulinterne Netzwerke wie an der Universität Jena beschleunigen diese Prozesse. Alexander Schwarzkopf ist froh über das informelle Verfahren, die Meldekette gibt ihm ein Gefühl der Sicherheit. “Für Menschen auf der Arbeitsebene, die Kontaktpersonen für derlei Fälle sind, ist es wichtig, dass es einen institutionellen Rückhalt gibt.” In Beratungssituationen erlebe er jedoch auch immer wieder Situationen, in denen ein offenes Ohr, eine Reflexion der Situation und ein Verweis auf Beratung durch andere Stellen ausreichen. Die Meldekette sei eher für schwere Fälle gedacht, wenn es beispielsweise zu Übergriffen komme oder unfairem Verhalten innerhalb der Hochschule. Ein vom Diversitätsbüro der Universität Jena zur Verfügung gestelltes, anonymes Meldeformular lasse sich in solchen Fällen ebenfalls sehr niedrigschwellig nutzen.

Wie viele Kolleginnen und Kollegen anderer Hochschulen sich mit ähnlichen Fragen beschäftigen, zeigte sich für Schwarzkopf in Gesprächen am Rande der DAAD-Netzwerkkonferenz. “Aber es ist eben auch ein unangenehmes, sensibles Thema, weil es eine offene Auseinandersetzung mit Rassismus erfordert.” Diesen Eindruck bestätigt Andrea Menn, Leiterin des International Office an der niedersächsischen Jade Hochschule. Zusammen mit Alexander Schwarzkopf saß sie in Bonn auf dem Podium und schilderte einen konkreten Vorfall, der vor zwei Jahren hohe Wellen schlug. Eine Absolventin hatte in einem Beitrag für die Regionalzeitung geäußert, dass sie als BIPoC an der Hochschule rassistisch behandelt wurde.

Was war passiert? “In einem Gespräch mit dem Präsidium stellte sich heraus, dass sie bei der Bildung von Arbeitsgemeinschaften im Labor immer zuletzt ausgewählt worden war”, erzählt Andrea Menn. “Es war ein Gefühl der Ausgrenzung entstanden.” Situationen wie diese lassen sich aus ihrer Sicht leicht vermeiden, beispielsweise indem Lehrpersonen die Bildung von Arbeitsgruppen selbst in die Hand nehmen. “Uns war in diesem Moment klar: Wir müssen etwas tun.” Die Hochschule richtete eine Beschwerdestelle ein. Zwei Kolleginnen aus dem IO stehen seit Ende 2022 als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung. “Sie hören zu, nehmen die Anliegen ernst und besprechen mögliche weitere Schritte”, so Menn. “In der Beratung stellen wir immer wieder fest, wie wichtig eine wertschätzende Kommunikation ist.”

Wo fängt Rassismus an? Aufklärung ist wichtig

Die Beschwerdestelle wird an der Jade Hochschule inzwischen als Institution wahrgenommen. Über die Website, den AStA oder den Internationalen Abend wird das Beratungsangebot beworben. Im Senat berichtet das Team regelmäßig über den aktuellen Stand der Dinge. “Das Thema ist bei uns gut angesiedelt”, sagt die IO-Leiterin. “Wir sind erste Kontaktstelle für internationale Studierende und kennen ihre Probleme.” Doch nicht nur Studierende, auch Lehrpersonal und Mitarbeitende wenden sich mit Fragen an die Beschwerdestelle. “Viele wissen nicht, wo Rassismus anfängt und sind verunsichert”, sagt Menn. Das Ringen um den richtigen Ton, die Angst davor, sich ungewollt unangemessen auszudrücken, sei deutlich zu spüren. Auch deshalb sei Aufklärung so wichtig.

Darum geht es auch dem AStA-Vorstand der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. “Hochschulgruppen müssen klar kommunizieren, was geht und was nicht”, sagt AStA-Vorständin Laura Falk. Studierende kommen mit ganz unterschiedlichen Anliegen zur Studierendenvertretung: Internationale Studierende mit nicht-deutschen Namen verzweifeln, weil sie kaum zu Wohnungsbesichtigungen eingeladen werden, andere begegnen in der Hochschule Stickern oder Modelabeln mit rechter Symbolik. Auch in der Lehre kommt es zu Formen der Diskriminierung. So beschweren sich beispielsweise Jurastudierende über Fallbeispiele, in denen überdurchschnittlich viele Personen mit einem migrantischen Hintergrund vorkommen. “Ihr Problem: sie befinden sich in einem Machtgefälle”, sagt AStA-Vorstand Fritz Herkenhoff. “Deshalb kommen sie damit zu uns, damit wir ihre Beschwerde entsprechend bei der Fakultät anbringen oder der Fachschaft weiterleiten.”

An der Uni Kiel haben sich verschiedene Hochschulgruppen zusammengeschlossen – vom Antirassismusreferat des AStA über die Hochschulgruppe gegen Antisemitismus bis hin zur queer students group. Die Zusammenarbeit mit der diversitätsbeauftragten Person der Uni Kiel, die bereits eine Diversitätsstrategie 2035 entwickelt hat, ist eng. Auch mit der Hochschulleitung ist das Team in direktem Kontakt. In regelmäßigem Abstand treffen sich die Studierendenvertreterinnen und -vertreter mit einem Mitglied aus dem Präsidium und den Studiendekaninnen und -dekanen.

Monitoring als Grundlage für Präventivmaßnahmen

Der AStA-Vorstand beobachtet eine deutliche Zunahme an Beschwerden. Parallel sei an der Universität Kiel jedoch auch ein Bewusstsein für die Notwendigkeit entstanden, sich so früh wie möglich einzuschalten. “Nach Vorfällen in der Geschichts-Fachschaft und auf Ersti-Veranstaltungen kamen sofort alle Fachschaften zusammen und diskutierten, wie sich dem entgegenwirken lässt”, so AStA-Vorständin Falk. Für die Betreuerinnen und Betreuer dieser Gruppen wurde ein Guide erstellt, als Handreichung für den Umgang mit Teilnehmenden, die Grenzen überschreiten. “Ganz entscheidend ist, dass solche Vorfälle auch gemeldet werden”, betont Falk. “Wir brauchen eine Statistik, nur mit Zahlen lässt sich argumentieren.” Andernfalls könnten Übergriffe fälschlicherweise als Einzelfälle abgetan werden.

An diesem Punkt setzt auch eine neue Monitoringstelle an, die an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) zu Beginn des Wintersemesters 2024/25 an den Start ging. Sie entstand aus einem “Handlungskonzept gegen (extrem) rechte Einflussnahme”, das die Hochschule 2022 entwickelte. Es vermittelt konkrete didaktische Handlungsoptionen zum Umgang mit rechten und diskriminierenden Erscheinungsformen an der Hochschule. Die Monitoringstelle dokumentiert Vorfälle extrem rechter Einflussnahme und Diskriminierung, die im Hochschulkontext gemeldet werden. Sie verarbeitet die Daten in anonymisierter Form und bereitet sie statistisch auf. “Diese Auswertung ermöglicht es uns, Situationsverläufe und mögliche Gefahren genauer zu analysieren und Präventivmaßnahmen passgenau zu entwickeln”, erklärt Heike Radvan, Professorin für Rechtsextremismusprävention an der BTU Cottbus-Senftenberg. Mit dem von ihr und ihrem Team entwickelten Handlungskonzept und der Monitoringstelle unterstützt die Hochschule Betroffene und klärt über gesellschaftspolitische und ideologische Zusammenhänge auf. “Fortbildungen erhöhen die Sensibilität im Umgang mit Vorfällen von Diskriminierung und rechter Gewalt”, so Radvan. “Und sie stärken die Handlungsfähigkeit von Mitarbeitenden und Studierenden.”

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